„Seine Werke sind scheu. Sie führen in den Untergrund, in den der Stadt und ihrer Geschichte, sie umspielen die Leere, lassen sie leuchten.“ (Christiane Meixner im Tagesspiegel)

Von Micha Ullman, dem 75-jährigen israelischen Künstler, kennt man in Berlin vor allem das Bücherverbrennungs-Mahnmal auf dem Bebelplatz, diese stille Skulptur, das weiße Zimmer unter der Erde mit den leeren Regalen, von einer dicken Glasplatte bedeckt. Unter der Kanzel des Berliner Doms wurde nun für SEIN.ANTLITZ.KÖRPER. ein neues Werk in den Boden eingelassen.

Zwei Häuser berühren sich am Dachfirst. Kopf an Kopf sind sie als Negativabdruck in eine graue Gesteinsplatte aus Basalt-Lava eingelassen. Durch Wasser werden sie gleichermaßen verbunden und ausgefüllt. Hier ist die Natur, die Energie des Fließenden, das überbrückende Element zweier sich gegenüberstehender Kräfte. Sie ermöglicht die Koexistenz der Gegensätze, das Aushalten des ewigen Umbruchs, gleich einer beständigen Wasseruhr. Der israelische Künstler Micha Ullman bezeichnet diese kleinen, naturgebundenen Skulpturen als Minimente, den großen, einen Wichtigkeitsanspruch vertretenden Monumenten entgegengesetzt.

Micha Ullman, seconda casa 2004

 

 

 

 

 

Das kleine Werk, in den Fliesen-Boden unter der Kanzel eingelassen, abstrahiert Ullmans Seconda Casa, Jerusalem-Rom. Auch dieses ist in den Boden eingelassen, ins Pflaster der Piazza Monte de Savello in Rom, gelegen am Rande des ehemaligen jüdischen Ghettos. Die Häuser liegen auf einer Achse, die von Rom nach Jerusalem führt. Der Titel Zweites Haus meint im Hebräischen den zweiten Tempel der Juden in Jerusalem. Der Tempel wurde um 70 nach Christus vom römischen Heerführer Titus 70 n. Chr. belagert und zerstört. Die Römer bauten Titus einen Triumphbogen, in dessen direkter Nachbarschaft sich Ullmans Arbeit befindet.

Die Zerstörung des Tempels löste das weltweite Exil der Juden aus, eine Situation, die bis heute andauert. Seconda Casa erinnert so auch an die zweitausend italienischen Juden, die am 27. Januar 1943 aus dem schon erwähnten Ghetto in die Konzentrationslager deportiert wurden. Bei Regen füllen sich die Häuser. Das Wasser reflektiert die Umgebung, den Himmel, die Passanten und – so man sich darauf einlässt – den Betrachter.

Micha Ullman ist als israelischer Künstler auch Berliner. Zahlreiche Arbeiten in der Stadt wurden von ihm geschaffen: Die Bibliothek als Denkmal an die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz, die Skulptur Niemand gegenüber dem Jüdischen Museum, das Mahnmal Blatt auf dem Grundriss einer von den Nazis verbrannten Synagoge und bald – an der Ecke Unter den Linden/Spandauer Straße das Haus – das an den großen Philosophen der Aufklärung, an Moses Mendelssohn, der dort und nur einen Steinwurf vom Dom entfernt wohnte.

Die Berliner Version von Seconda Casa liegt unter der Kanzel in den Boden der Solnhofener Platten eingelassen. Ullmans Arbeit für SEIN.ANTLITZ.KÖRPER. schaut in Richtung des Hauses des Philosophen. Aber auch einer in die Wand eingelassenen Tafel. Zur Ehrung der im ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Die vom Hof- und Domprediger Bruno Doehring mit einer großen Predigt in diesen Krieg geschickt wurden. Einer Predigt, gehalten auf dieser Kanzel.