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St. Michael am Engelbecken
Michaelkirchplatz
10179 Berlin

DIE KUNST IST SCHON IN DER KIRCHE. ÜBER READYMADES.
15. Mai bis 6. August 2016

Öffnungszeiten: Di – So, 12.00 – 18.00 Uhr, Eintritt frei!

Mir Werken von  Arahmaiani, Martin Noll, Hannah Hallermann, Bui Cong Khanh, Adrian Paci  + Peter Riek als Gast

Installationviews
Fotos: Marcus Schneider

Die Kirche St. Michael am Engelbecken wurde 1861 eingeweiht und in den letzten Jahren des zweiten Weltkrieges ausgebombt. Später direkt an der Berliner Mauer gelegen, finden wir an der Stelle des fehlenden Längsschiffs einen Garten. Die Absiden des ehemaligen Hauptaltars der Kirche sind noch vorhanden, werden jedoch nicht mehr vollständig genutzt. In die Nischen installieren die Indonesierin Arahmaiani, der vietnamesische Künstler Bui Cong Khanh und die in Berlin lebende und arbeitende Hannah Hallermann Werke, die sich mit islamisch, christlich und buddhistisch beeinflussten Ikonografien auseinander setzten. Sie verwenden z.B. liturgische Gewänder, Gebetsbänke und eine Statue des Erzengels Michael, die sie als in der Kirche vorgefundene ‚Readymades‘ verstehen.

Adrian Paci, Home to go, 2001, Courtesy KULTUMdepot Graz

Adrian Paci, Home to go, 2001, Courtesy KULTUMdepot Graz

Neun großformatige Fotografien zeigen einen Mann mittleren Alters in einem hellen Raum. Er trägt außer einer weißen Unterhose nur ein maßstabsverkleinertes Schindeldach auf dem Rücken. Mit zwei Stricken hat er es wie einen Rucksack festgeschnallt. Doch krümmt sich der Körper unter dem Gewicht des Daches. Mal kraucht der Mann auf allen Vieren, mal stemmt er sich mit aller Kraft gegen den Boden, mal reißt das Dach ihn wie einen hilflos zappelnden Käfer auf den Rücken.

Die Bilder sind Aufnahmen der Performance Home to go, die Adrian Paci selbst an vielen Orten der Welt aufführte. Formal lässt diese Fotoserie an die Kreuzwegstationen denken, die das Straucheln Jesu beim Tragen des Kreuzbalkens ins Bild setzen. Inhaltlich stellen sich noch ganz andere Fragen. Adrian Paci, geboren 1969 in Shkodra, Albanien, emigrierte 1997 nach Italien. In Mailand befasst sich der Künstler mit Fotografie, Filmen, Objekten und Installationen. Seine Werke kreisen um Themen wie Migration, Identität, Persönlichkeitsausbildung, Wege. So beschäftigte ihn in den vergangenen Jahren mehrfach seine Arbeit The Column. Fotografien dokumentieren den Weg eines Marmorblocks, der  auf einem Frachtschiff von China nach Europa gebracht wird. Währenddessen nimmt er die Gestalt einer korinthischen Säule an. Diese landet u.a. 2014 am Strand von Venedig, wo The Column auf einem Transportgestell liegend, im Rahmen der Biennale ausgestellt wird. Die Arbeit Home to go entsteht in Pacis ersten Jahren in Italien. Der Titel lässt nachdenken. Was ist home? Kann man es mitnehmen oder bringt es einen dazu, zu gehen? Auch diese Arbeit greift der Künstler mehrmals wieder auf. Er schafft nach der Fotografie des gebeugten Mannes eine Skulptur aus Gips und Marmor mit Dach auf dem Rücken. Bei einer Ausstellung in Marseille erhält sie 2013 den Titel ici, ailleurs (hier, anderswo) und verweist auf eine andauernde gewisse Orientierungslosigkeit.

 

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Arahmaiani „I love you“, St. Michael

Für die Künstlerin Arahmaiani ist religiöse Vielfalt alltäglich. 1961 wird sie als Tochter eines Moslems und einer Mutter mit javanisch-hindu-buddhistischem Hintergrund in Indonesien geboren. Sie selbst bezieht sich auf diese biografische Grundlage und möchte mittels der Kunst zum interreligiösen Dialog beitragen. So ist über die Jahre ein ansehnliches Oeuvre aus Zeichnungen, Malereien, Skulpturen, Videos, Poesie, Tanz und Installationen gewachsen. International bekannt ist Arahmaiani vor allem als Performancekünstlerin. Dieser Kunstform in Südostasien den Weg bereitet zu haben, machte sie zu eine der führenden zeitgenössischen Künstlerinnen. Kernthema ihrer Arbeiten ist die Liebe. Ihr Name selbst geht auf das arabische Wort „Arahma“ für “lieben” zurück. Doch auch Gott, „Allah“, bedeutet für sie „Liebe“. So ist es für die Künstlerin kein Widerspruch ihre Arbeit I love you in einer katholischen Kirche zu installieren. Auf weißem Grund in schwarzer Schrift steht „I love you“. Allerdings schreibt Arahmaiani nicht in lateinischen Buchstaben sondern überträgt den Klang der Silben ins javanesische Arabisch. Sie benutzt also die Schriftzeichen des Korans als phonetisches Alphabet.
Der arabischen Schrift wird auf Grund des Bilderverbots im Islam ein hoher Stellenwert zugemessen. Das Verbot der Abbildung des Propheten in Verbindung mit der großen Bedeutung des Wortes führte zu einer gesteigerten Betonung der Schrift. In der islamischen Kunst entwickelten sich anspruchsvolle Kalligraphie und Ornamentik selbst zum Kunstgegenstand. Die in arabischen Zeichen geschriebene Liebesbotschaft, die als Träger komplexer menschlicher Emotionen gleichfalls eine große Bedeutung erhält, wird von Arahmaiani einzigartig in Szene gesetzt. Sie hängt in der Mitte der Apsiden. Dort, wo früher der Altar stand an dem Priester die Messe zelebrieren. Deren „Arbeitskleidung“ sind für die Künstlerin vorgefundene „Schätze“ (Readymades), die sie in die Installation mit einbezieht. Oft von Nonnen in liebevoller Arbeit bestickt, fungieren die liturgischen Gewänder als Bindeglied zwischen Glauben, Schönheit und Liebe. In der Ausstellung hängen die katholischen Priestergewänder neben Bui Cong Khanhs Zelt aus buddhistischer Mönchskleidung. Und über allem steht die Liebe Allahs.

 

Bui Cong Khanh, Prayer on the wind, 2015, Courtesy of Bui Cong Khanh und 10 Chancery Lane Gallery Hong Kong, Foto: 10 Chancery Lane Gallery

Bui Cong Khanh, Prayer in the wind, 2015, Courtesy of Bui Cong Khanh und 10 Chancery Lane Gallery Hong Kong, Foto: 10 Chancery Lane Gallery

Werden Sie Teil des Kunstwerks! Prayer on the Wind ist eine partizipative Installation, die ausdrücklich zum Mitmachen einlädt. Schreiben Sie Ihre Gedanken auf einen der bereitliegenden Zettel. Verwahren Sie diesen in einer der am Zelt angenähten Taschen. Legen Sie sich gern auf die Matte unter das Zelt und lassen Sie die Arbeit auf sich wirken.

Frei im Raum hängt ein Zelt, aus vielen Stücken Stoff genäht in Form einer Tempelpagode. Es scheint zu schweben und lässt die Gedanken vielleicht ebenfalls in fernöstliche Regionen fliegen.

In Vietnam in Ho-Chi-Minh-Stadt lebt der 1972 geborene Bui Cong Khanh. Er studierte an der dortigen Universität Kunst und ist seitdem als Maler, Musiker, Video- und Performancekünstler tätig. Seine Werke wurden bereits in allen großen Städten Vietnams sowie in Frankreich, Korea, Thailand, Kambodscha und den USA ausgestellt. Ihnen gemeinsam ist Khanhs Auseinandersetzung mit seinem kulturellen Erbe. Ihn interessiert die Rolle von Religion und Glauben in sozialen Strukturen. Aus der vietnamesischen Gesellschaft, Kultur und Tradition schöpft er sein visuelles Repertoire. Dafür bedient Khanh sich vielfältiger, die ihm am adäquatesten erscheinenden Ausdrucksformen. Das können Porzellankrüge, Textilien, Performance, Video, Sound, Zeichnungen, Malereien oder die Kombinationen all dessen sein.
Prayer on the wind ist zusammengenäht aus den karminroten Roben buddhistischer Mönche aus Myanmar und Camouflagestoffen der Armee. Im September 2007 protestierten buddhistische Mönche und Nonnen gegen die seit 1962 herrschende Militärdiktatur. Ihr Aufstand weitete sich zu einem Massenprotest aus. Er wurde gewaltsam niedergeschlagen, tausende von Mönchen teilweise bis heute inhaftiert.
Die Installation zwingt die Parteien in einen gemeinsamen Gebetsraum. Die einzelnen Flicken, die für die Individuen der Bewegung und der Armee stehen könnten, sind miteinander verwoben. Aus ihrer Einheit entsteht ein höheres Ganzes.
Die Zeltpagode ruft den schwelenden Konflikt nicht nur in Erinnerung. Sie fordert auch zum Einschreiten auf. Nicht in Form von Protesten und Spendenaufrufen sondern in der Möglichkeit, sein persönliches Gebet, seine Wünsche und Träume zu formulieren. Sie in Wort zu fassen, auf Papier zu verewigen und dieses am Gewebe anzubringen bedeutet, eine Botschaft auszusenden. Symbolisch wird sie dem Wind als Trägermedium übergeben. So nimmt eine Idee Form an, materialisiert sich auf Papier und breitet sich aus in unseren Gedanken, Gesprächen, unserer Wahrnehmung. Ergänzend liegt eine Matte unter dem Zelt. Sie lädt ein, in die Arbeit auch körperlich einzutauchen, sie mit allen Sinnen auf sich wirken zu lassen und sich für die eigenen Gedanken Zeit zu nehmen.

 

Hannh Hallermann, Demutsübung 1, 2015, Courtesy Hannah Hallermann

Hannh Hallermann, Demutsübung 1, 2015, Courtesy Hannah Hallermann

Demutsübung 1 ist ein kleine, minimalistische Plastik Hannah Hallermanns, die es in sich hat. Die Künstlerin erblickte 1982 in Nürnberg das Licht der Welt. Ihr Studium führte sie nach Nizza, Köln und Dresden, bis sie sich in Berlin niederließ. Hier arbeitet sie heute an Skulpturen, Installationen und Drucken, die thematisch eine ganze Palette philosophischer und globaler Inhalte abdecken.
Unter dem Titel DIE KUNST IST SCHON IN DER KIRCHE wird Hallermanns Werk in die Apsis einer katholischen Kirche gestellt. Ihr gegenüber steht eine Kniebank vor einer Madonnenskulptur.

„Die Skulptur „Demutsübung 1“ wirkt auf den ersten Blick wie ein klassisches minimalistisches Objekt. Referenzlos ist es jedoch nicht. Angelehnt an die Form einer Gebetsbank, spielt Hannah Hallermann in ihr humorvoll mit dem Konzept der Demut, welches ursprünglich ein philosophisches war und nicht nur dem christichen Kontext angehört. Es spiegelt die Frage wie man sich in Relation zum Kosmos und der Gesellschaft platziert.”
(Hendrik Lakeberg)

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