Ein Statement mitten im Kulturenmix
Michaela Kühn über das Ausstellungsprojekt in Berlin „Sein.Antlitz.Körper“ von Alexander Ochs
Getrieben von der Frage, wie atheistisch, wie weltoffen und wie spirituell die deutsche Hauptstadt ist, kuratiert Kurator Alexander Ochs derzeit gleich 11 Ausstellungen in verschiedenen Gotteshäusern in Berlin. In einer Stadt, in der Menschen aus über 180 Nationen zusammenleben, sich ein Großteil der Einwohner als atheistisch versteht, in der aber Religionen wie der Islam, der Buddhismus und Hinduismus genauso ihren Platz eingenommen haben wie das Christen- und das Judentum. Unterstützt vor allem von Georg Maria Roers SJ, dem Kunstbeauftragten der Erzdiözese Berlin, vernetzt er Künstler, Kuratoren, Musiker, Geistliche aller Konfessionen und Religionen, Besucher, Gäste, zufällige Passanten, Gläubige, Atheisten. Bereits im vergangen Jahr hatte er mit der Ausstellung im Berliner Dom ,,Du sollst Dir (k)ein Bild machen“ eine überzeugende Vorlage geliefert, die über 60.000 Besucher angezogen hatte. Michaela Kühn führte, ausgehend von Beobachtungen zum Hefttitel dieser Zeitschrift, mit dem Kurator Mitte Juli das folgende Gespräch:
Die Körper der 58 hageren Figuren sind mit Stofffetzen vermummt, ihre Häupter gesenkt, die Gesichter scheinen ausgelöscht wie auch ihre Vergangenheit, die sie in der Heimat zurückgelassen haben. Eine anklagende Stille geht von ihnen aus, die jeden Aufschrei schlucken könnte. ,,Die Flüchtlinge“‘ eine Installation der mexikanischen Künstlerin Helen Escobedo (1934 – 2010) erzählt von den Menschen, die täglich zu Abertausenden eine Grenze passieren, einen Weg voller Gefahren auf sich nehmen, um in einen fremden Land Zuflucht und Schutz zu finden. Die Arbeit der Guggenheim-Stipendiatin entstand im Jahre 2001 und steht übergreifend für jeden Menschen auf dieser Welt, der sich auf der Flucht befindet. Die Gründe dafür können verschieden sein; politische Verfolgung, Krieg, Hunger, Armut oder Beschneidung der Meinungsfreiheit. Die Gemeinsamkeit ist das Opfer, das all diese Menschen auf der Flucht erbringen. Escobedos Werk zeigt uns keine Nationalitäten, Hautfarbe, Bildungsgrad und auch keine Konfession, es reflektiert die Situation und die Ohnmacht der Menschen auf der Flucht.
Zu sehen ist dieses Werk derzeit in Berlin im Rahmen des Ausstellungsreigens „Sein.Antlitz.Körper“, kuratiert von Alexander Ochs. Acht katholische und evangelische Kirchen der Bundeshauptstadt, das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge und die Erlöserkirche zu Jerusalem werden seit März 2016 bis zum Ende diesen Jahres zu Orten, in denen sich die Kunst jeweils einen sakralen Raum erschließt. Zwar lautet der Untertitel ,,Kirchen öffnen sich der Kunst“, aber genauso öffnet die Kunst der über 100 ausgestellten zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler, die Türen zu den Gotteshäusern und entfachen einen Dialog zwischen Kulturen und Konfessionen. Denn „Sein.Antlitz.Körper“ sind der Religion und der Transzendenz nahe Begriffe, aber was man in den Ausstellungen zu sehen bekommt, ist keine kirchengefällige Kunst. Es sind Werke von unterschiedlicher Spiritualität, sie beleuchten die großen Themen des Lebens wie, Eros, Thanatos, Gewalt und die Vergänglichkeit, aber stellen auch gesellschaftliche und politische Relevanzen her. Darunter finden sich auch immer wieder Arbeiten, die sich durch ihre hohe Aktualität auszeichnen. Neben Helen Escobedo ist etwa die Aktion des Berliner Künstlers Dieter Mammel zu nennen, der in seinem Projekt: ,,Zeig mir woher du kommst“ seit September 2015 gemeinsam mit Flüchtlingskindern in einer Erstaufnahme-Einrichtung malte. Zu sehen sind aufrüttelnde Bilder, in denen die 8–14 jährigen Kinder aus Syrien, dem Irak und Afghanistan ihre Erfahrungen mit dem Krieg in ihrer Heimat und den Erlebnissen auf ihrer Flucht eindrucksvoll in Zeichnungen festhielten.
Kopftücher – die Kopfbedeckungen der Muslima und gleichzeitig auch Nonnenschleier – zeigt die Arbeit ‚,Fanshon II‘‘ der polnischen Künstlerin Marta Deskur. Während eines Stipendiums in Berlin 2003 fotografierte Deskur die Kopftücher und Schleier von in Berlin-Kreuzberg lebenden Frauen. Die Gesichter ihrer Modelle sind zumeist nur subtil angedeutete, sodass die Tücher im Zentrum stehen und einen skulpturalen Anschein entwickeln. Diese graphisch anmutenden Bilder befestigt sie auf Keramikfliesen des Altarraumes der St. Marien Kirche. Ikonographisch ist bei ihr eine Linie zum Tuch der hl. Veronika zu ziehen, nur ist nicht das Gesicht, sondern der Schleier eingeprägt.
Die Installation ,,Kohle (2006)“ der Berliner Künstlerin Alicja Kwade, spielt in doppeldeutiger Weise mit den ,,Werten“ unserer Gesellschaft. Die in Bronze gegossenen Kohlebriketts sind mit 24-karätigem Gold überzogen und bieten schier endlose Interpretationsmöglichkeiten.
MK: „Sein.Antlitz.Körper“ läuft seit März in Berlin. 11 Ausstellungen werden insgesamt gezeigt. Lässt ich bereits jetzt ein erstes Resümee ziehen?
AO: Wir haben gerade die achte Ausstellung eröffnet und so ungefähr zwei Drittel unseres Pensums abgearbeitet. Es läuft prima, die Resonanz nimmt zu. Bei Künstlern, beim Publikum, in den Gemeinden, in den Medien. Und es entwickelt sich eine eigene Szene um die Ausstellungen, eine eigene Geschichte auch. Es geht spürbar tiefer.
MK: Haben Sie mit so einem Erfolg gerechnet? Schließlich findet die Ausstellung nicht in den Hochburgen der katholischen oder evangelischen Kirche statt, sondern in Berlin! Eine Metropole, die einen atheistischen Ruf hat, und in der viele verschieden Kulturen zusammenleben. Trotzdem haben Sie es offenbar geschafft, dass Menschen aus aller Welt sich in Gotteshäusern der deutschen Hauptstadt tummeln.
AO: ‚,Erfolg“ ist vielleicht die falsche Kategorie. Wir haben ausgehend von unserer, von 60.000 Besucherinnen und Besuchern unserer Berliner-Dom-Ausstellung ‚,Du sollst Dir (k)ein Bild machen“ im letzten Jahr nachgedacht und uns auf den Weg gemacht. Und wir haben den Anspruch, keine „religiöse Kunst“ im Sinne „sakraler Kunst“ zu zeigen. Das bedeutet, es kamen und kommen Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Spiritualitäten und die ganz gewöhnlichen Berlinerinnen und Berliner, aber zunehmend auch Kunst-Touristen unterschiedlicher Spiritualitäten in die Kirchen. Wir öffnen uns, biedern uns aber nicht an und so gibt es kein „anything goes“. Und wenn ich berücksichtige, dass es in Berlin neben Christen unterschiedlichster Herkunft auch Juden, Muslime, Buddhisten, Hindis und viele andere gibt, daneben Menschen, die sich als Agnostiker bezeichnen, aber jeden Tag auf dem Meditationskissen sitzen… ist Berlin alles andere, aber keine atheistische Metropole.
MK: Mussten Sie anfänglich Überredungsarbeit leisten oder haben die Kirchengemeinden sofort verstanden, dass sie durch die Kunst in ihren Häusern eine lange verschlossene Tür zu einem Publikum öffnen können?
AO: Überhaupt nicht! Ich selbst agiere da als Mitglied der evangelischen Domgemeinde; als Christ unter Christen, und ich habe mit Georg Maria Roers, dem bei den Katholiken zuständigen Kulturmann in Berlin, einen kongenialen Partner. Wir sind also Teil der Kirchen, und diese öffnen ihre Türen gern. Oft sogar mit großer Begeisterung!
MK: Denken Sie, dass die Menschen sich heute wieder nach mehr Spiritualität sehnen? Und wenn ja warum?
AO: Der Markt versucht die Welt zu beherrschen und führt Kriege. Die Welt ist in einem fürchterlichen Zustand. Mehr und mehr Menschen begreifen, dass wir die Welt nur dann zum Frieden führen können, wenn wir uns auf Hilfe „von oben“ angewiesen machen. Als Suchende werden wir zu ‚Believers‘ … das ist ein Sehnen nach Gott, das Menschen schon immer eigen war. Heute finden wir da viele Qualitäten auch außerhalb der christlichen Kirchen.
MK: Sehen Sie sich selbst auch als Reformer?
AO: Vielleicht. Das sollen andere entscheiden. Und auch Reformer bauen auf Bestehendem auf. So bin ich zum Beispiel der Stiftung St. Matthäus, als Kulturstiftung der Evangelischen Kirche, dankbar für ihre langjährige Vermittlungs- und Verbindungsarbeit in der Stadt.
MK: Denken Sie, dass sich Menschen durch dieses Projekt wieder der Kirche oder sogar einen Glauben annähern?
AO: Zumindest stellen sie sich wesentliche Fragen neu … und das ist schon sehr viel. Ich will mir nicht anmaßen, zu beurteilen, wer nun ‚,gläubig“ ist und wer nicht. Bei der Geburt sind wir noch mit Gott verbunden, und von dort gesehen sind viele „unrettbar“ gläubig, um einen guten Freund zu zitieren. Ansonsten gilt: die Wege das Herren sind wundersam und unergründlich. Und die Hilfe einer heiligen Maria ist es sicher auch!
MK: Sie haben über 100 Künstlerinnen und Künstler für dieses Projekt gewinnen können. Von großen internationalen Namen bis zu jungen Nachwuchskünstlern. Wie sind Sie bei der Auswahl vorgegangen?
AO: Bauch, Erfahrung, Unterbewusstsein, Meditation, Heiliger Geist. Und das Vertrauen, das uns auch viele kooperierende Sammler und Museen entgegen bringen.
MK: Was beobachten Sie bei den Künstlern im Rahmen des Projektes. Wie sieht der Künstler die Kirchen? Eher als neuen White Cube oder ist da mehr?
AO: Künstlerinnen und Künstler fühlen sich bei uns sehr gut aufgenommen und liebevoll behandelt! Sie lieben die Kirchen als Kunstort aber auch als Orte der Kontemplation. Sie bringen uns ihre Liebe entgegen und wir sind dankbar dafür.
MK: Die Kirche als das neue Museum?
AO: Kirche bleibt Kirche. Und Museum bleibt Museum. Oder wollen wir den Glauben musealisieren? Aber natürlich gibt es wunderbare Erfinder wunderbarer Brückenarchitekturen. Zwischen den Kirchen als Ort und der Kunst als Energie!
MK: Nach acht Kirchen und der Neuen Synagoge in Berlin wird die letzte Station der Ausstellungsreihe nicht in der Hauptstadt sein, sondern in Jerusalem. Warum Jerusalem?
AO: Dort ist Jesus gestorben, auferstanden und hat einen Anfang gesetzt. Dort könnten, wenn sie denn wollten, Juden, Muslime und Christen Frieden schließen. Dorthin gehen wir zurück. Auch um Arbeiten von islamischen und jüdischen Künstlerinnen und Künstlern in der Erlöserkirche zu zeigen. Und: die Scholades Berliner Doms wird eine Komposition des tief-gläubigen Agnostikers Chris Newman uraufführen.
MK: Sie haben es geschafft in Ihren Kurationen keine Spur von Anbiederung an die Kirche zu hinterlassen, sondern haben Fragen gestellt und auch teilweise sehr kirchenkritische Kunst integriert. Oder auch andere Religionen einen Platz in christlichen Räumen gegeben. Ich denke da an die Arbeiten des Vietnamesischen Künstlers Nguyen Quang Huy in der St. Canisius Kirche. Warum ist Ihnen das wichtig?
AO: Gute Kunst provoziert oft Widerspruch; warum nicht auch in christlichen Gemeinden. Aus Widerspruch entstehen neue Fragen für Künstler und in den Gemeinden. Die evangelische Kirche hat in diesem Jahr das Thema „Reformation und die EINE Welt“. Und mir ging es darum, diese Welt in die Berliner Kirchen einzuladen.
MK: Über die Vermittlung zwischen Kunst und Kirche hinaus, ist Ihnen auch ein Austausch zwischen den Kulturen eine Herzensangelegenheit. Ein Thema, das in Zeiten der Flüchtlingskrise von großer Bedeutung ist. Was für Projekte konnten Sie zu diesem Thema realisieren und wie wurde sie aufgenommen?
AO: Kultur-Transfer ist für mich ein altes Thema, habe ich doch bald 25 Jahre auch in China gearbeitet. Voneinander zu lernen, erweitert den Horizont. Miteinander zu beten, weitet das Herz. Eigentlich ist die gesamte Ausstellung auch diesem Thema gewidmet. Spezifische Werke zum Thema sind aber wohl Ullman im Dom, Wang Shugang in St. Adalbert, Dieter Mammels Zeichnungen von Flüchtlingskindern, Marta Deskur und Helen Escobedo in St. Adalbert.
MK: Mit der Ausstellung „Sein.Antlitz.Körper“ oder zuvor schon mit „Du sollst Dir (k)ein Bild machen“ wird wieder eine Kunst in die Mitte der Gesellschaft gerückt, die weit aus mehr kann als hübsch über des Sammlers Sofaecke zu hängen oder als Spekulations-Masse zu dienen. Wir sehen Kunst, die Fragen stellt und einen Finger in die Wunden der Gesellschaft steckt. Wie erklären Sie sich das? Und warum ist es so wichtig diese Kunst zu fokussieren?
AO: So zugespitzt würde ich das nicht sehen wollen. Wir leihen ja auch Werke aus des „Sammlers Sofa-Ecke“ und nicht jeder Sammler ist ein Spekulant. Nur: richtig ist, dass sich die Kunst in den Kirchen ihre spirituelle Substanz zurück erobert und damit quasi neue –auch gesellschaftspolitische – Relevanz entwickelt. Und plötzlich wühlt sie wieder auf.
MK: Der Kunsthistoriker und Autor Wolfgang Ullrich meinte in einem Interview, er sehe es eher skeptisch, dass Kunst eine Gesellschaft verändern kann. Wie ist Ihre Sicht auf dieses Thema mit Ihren Erfahrungen aus den letzten Monaten?
AO: Da bin ich mit Ullrich eng zusammen: Kunst wird die Welt nicht verändern. da wäre sie überstrapaziert. Aber sicher kann Kunst Menschen Mut machen, die Welt besser machen zu wollen.
Text © Kunst und Kirche 2016
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