Julia Krahn ist eine der wenigen zeitgenössischen Künstlerinnen, die sich in ihren Werken mit der Tradition und dem Bildgedächtnis christlicher Motive auseinandersetzen. 1978 in Aachen geboren und katholisch erzogen, beeinflussten sie katholische Glaubensvorstellungen und deren Bilderwelt. Nach eigenen Angaben interessiert es Julia Krahn, durch künstlerische Auseinandersetzung dieser Prägung auf den Grund zu gehen. Anhand der christlichen Ikonografie arbeitet sich die Künstlerin an gleichermaßen allgemeinen wie persönlichen Themen ab, beispielsweise der Beziehung Vater/Mutter – Kind. Dabei inszeniert sie sich stets selbst vor der Film- oder Fotokamera, als Mater Dolorosa, Engel oder Maria Magdalena.

Die auf ein mittleres Format aufgezogene Fotografie Mutter, die wir in St. Marien am Alexanderplatz zeigen – wirkt nicht nur durch die Größe sehr intim. Mittig, als Hüftstück portraitiert, steht eine unbekleidete Frau vor grauem Hintergrund den Betrachtern unmittelbar gegenüber. Ein weißes Tuch bedeckt, gleich einem Schleier, ihr Haar und gleitet über ihre rechte Schulter hinab in die Armbeuge, wo der Zipfel auf den angewinkelten Armen so drapiert ist, als ob ein Säugling darin ruhen würde. Das Baby fehlt. Der Blick der Frau richtet sich dennoch konzentriert auf diese Leerstelle.

Der formale Bezug zur Darstellung der Gottesmutter Maria ist evident. Auf ungezählten Bilder halten Madonnen ihren kleinen Sohn auf dem Arm, während sie im Geiste bereits seinen Tod vorhersehen. Gleichwohl bezieht sich das Bild auf emotionaler Ebene auch auf übergeordnete Fragestellungen, wie die nach Geborgenheit, Heimat, Herkunft, Lebensweg und der eigenen Leerstelle im Leben. Anknüpfend an die Tradition des Andachtsbildes gibt die Fotografie den Rezipienten Raum, eigene Bedürfnisse zu erforschen.

 

JULIA KRAHN: Geboren 1978 in Aachen, lebt als Fotografin und Fotokünstlerin in Mailand. 2007 stellte sie im Ludwigforum in Aachen aus, 2010 wurde sie auf der VOLTA 6 in Basel von der Galerie Magrorocca präsentiert. 2008 wurde sie für die besten Kinderfotografien in Italien von Tau Visual prämiert, im selben Jahr folgte die Teilnahme an der 7. Biennale von Teheran. Sie gewann mehre internationale Fotopreise.

Julia Kahn, Mutter, 2009, Bubble-print auf Aluminium, gerahmt, Museumsglas 32,3x40 cm, KULTUMdepot Graz, aus: mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst (2010)

Julia Kahn, Mutter, 2009, Bubble-print auf Aluminium, gerahmt, Museumsglas, 32,3×40 cm, KULTUMdepot Graz, aus: mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst (2010): Foto Ausstellungsansicht oben: Marcus Schneider