st_canisius

St. Canisius am Lietzensee
Witzlebenstraße 30
14057 Berlin

ECCE HOMO? ECCE HOMO!
5. Mai bis 29. Juni 2016

Predigt zur Eröffnung von Pater Joachim Gimbler

Mir Werken von Per Adolfsen, Abraham Hendricksz van Beyeren, Birgit Brenner, Jonas Burgert, Marcin Cienski, Birgit  Dieker, Christina Doll, Sven Drühl, Moshe Gershuni, Paule Hammer, Katrin Heichel, Nguyen Quang Huy, Michal Jankowski, Oda Jaune, Kai Klahre, Andrey Klassen, Anna Kott, Olaf Kühnemann, Carina Linge, Rosa Loy, Nashuhn Nashunbatu, Nathan Peter, Jochen Plogsties, Daniel Richter, Nicola Samori, Gil Shachar, Gerhart Schreiter, Vroni Schwegler, Norbert Schwontkowski, Steve Viezens, Herbert Volkmann, Yoo Yunghyun + Peter Riek als Gast

Installationviews
Fotos: Marcus Schneider

Christina Dolls Skulptur ‚Kleiner Bobby‘ begrüßt den ankommenden Besucher vor der 2002 neu eröffneten Kirche. Ein Kirchenraum, dessen Architektur sich auf das Nötigste beschränkt und in seiner ‚Heiligen Leere‘ an eine Mischung aus buddhistischem Gebetsraum und ‚White Cube‘ erinnert. Anders als in Kirchen gewohnt, kommt der gekreuzigte Christus, die ‚Wunde‘ hier ebenso wenig vor, wie der Mensch, seine Existenz und sein Leiden.

Die dritte Ausstellung der Reihe SEIN.ANTLITZ.KÖRPER. mit dem Titel ECCE HOMO? ECCE HOMO! holt den Menschen, sein Leiden wie seine Freude, sein Suchen nach Schönheit und Ruhe in den lichtdurchflutenden Raum zurück. Alexander Ochs platziert Werke einerseits als sensible Kommentare zum Raum und seiner sakralen Geschichte. Anderetseits entstand in Zusammenarbeit mit der Nürnberger Kuratorin Theresa Bischoff ein ‚Hidden Room‘, meist gespeist mit Arbeiten aus der Sammlung SØR Rusche, in dem nichts ‚Menschliches‘, in dem kein Abgrund ausgelassen wird.

Christina Doll, kleiner Bobby, 2008, Courtesy by artist

Christina Doll, kleiner Bobby, 2008, Courtesy by artist

116 cm groß ist die Figur – ein sechsjähriges Kind? Nein, ein erwachsener Mann, dessen Körperproportionen mit einem „übergroßen“ Kopf die eines Kindes sind. Ein klein-wüchsiger Mann. Christina Doll hat diese Plastik aus Beton gegossen, so wie auch den großen Bobby, Elli, Vivi, Herrn Fuhl und andere Bilder von Menschen wie jenen, denen wir im Alltag, auf der Straße, oder im Park täglich begegnen. Doll beabsichtigt keine klassischen, heroischen oder verherrlichenden Porträtdarstellungen. Vielmehr nährt sie sich auf spiritueller, fast demütiger Art einer Idee des menschlichen Seins an, frei von Gesellschaft, Kultur, Beziehung, Kontext. Sie setzt dem Menschen an sich ein Denkmal, nicht seiner Tat. Und verändert damit gleichzeitig historische Konventionen.

Christina Doll wurde 1972 in Köln geboren. Sie studierte an der Kunstakademie Düsseldorf, lebt und arbeitet derzeit in Berlin. Ihre künstlerische Laufbahn begleiten von Beginn an Menschenportraits als Motiv und Materialien wie Keramik und Porzellan. Anfangs im Kleinen formt sie Plastiken von Menschen aus ihrem Umkreis. Später wird Doll auch überlebensgroß arbeiten. Durch die glatten, glänzenden Oberflächen und die lichte Einfarbigkeit der Glasuren wirken ihre Figuren immateriell und verweisen dadurch auf eine übergeordnete Idee, den Wert des Lebens und der Schöpfung. „Den Dingen und Menschen ein Moment von Überzeitlichkeit einzugestehen und dennoch in der Gegenwart verortet zu sein“, ist der Anspruch der Künstlerin. Auch der monochrom graue Beton entzieht Kleiner Bobby weitgehen die physische Sinnlichkeit einer Person und überführt ihn ins Transzendente, verwandelt ihn zu einer Erscheinung. Umso mehr, als dass er in einem Guss mit der betonenden Außenarchitektur von St. Canisius entstanden sein könnte. Kleiner Bobby steht am Eingang der Kirche, die in ihrem Inneren selbst durch Reduktion eine strenge sakrale Aura entfaltet. Und so begrüßt dieses ‚Prinzip Mensch‘ die Besucher und stimmt sie auf Ausdruck und Inhalt der Ausstellung ECCE HOMO? ECCE HOMO! ein.

 

Birgit Dieker, o.T. (Ei, Ei, Ei), 2010, Courtesy SØR Rusche Sammlung

Birgit Dieker, o.T. (Ei, Ei, Ei), 2010, Courtesy SØR Rusche Sammlung

Birgit Dieker ist 1969 in Gescher, Westfalen geboren, und schon seit den 1990’er Jahren nicht mehr aus den Berliner Künstlerkreisen wegzudenken. Sie studierte in der Hauptstadt neben Germanistik und Kunsterziehung Bildhauerei und war Meisterschülerin bei Michael Schoenholtz. Es folgten zahlreiche Stipendien und Kunstpreise.

Schon früh hat die Künstlerin ihre Handschrift gefunden. Sie näht und schneidet mehrlagige Skulpturen aus Stoffen, beispielsweise ein Familienportrait aus den abgelegten Kleidern der Portraitierten. Immer geht es um das Innerste des Menschen. Es sind Skulpturen, die etwas über den Menschen erzählen wollen, seinen Körper, seine Erinnerungen, gesellschaftliche Erwartungen.

Ihre Werke zeichnen sich durch Brüche aus. Sie spielen mit Perfektion und Zerstörung, mit dem Verhältnis von äußerer Form und innerem Zustand. Die Kleidung als „zweite Haut“ symbolisiert den Körper. Sie ist die Grenzmetapher zwischen Innen und Außen, zwischen Ich und Welt und wird so zum Erfahrungsträger und zur Metapher für die Schichten des Selbst.
Dieser Gedanke findet sich nicht nur im Vodoo sondern in ähnlicher Form auch im Christentum wieder.
Je näher ein Kleidungsstück am Körper war, desto mehr Kräfte oder persönliche Beziehung zum Träger werden ihm zugesprochen. So bewahrt die katholischen Kirche Kleider von besonders verehrten Personen auf, die nach ihrer Heiligsprechung als Reliquien gelten. Bis heute ist Trier eine berühmte Pilgerstätte, weil dort das Gewand Christi aufgehoben wird, das ihm vor der Kreuzigung weggenommen wurde und in den Besitz eines Soldaten überging.
Bisher gibt es nur zwei Skulpturen aus persönlichen Kleidungsstücken der Künstlerin. Eine davon ist Diekers Selbstporträt ohne Titel (Ei, Ei, Ei). Auf zwei sich gegenüberliegenden Seiten eines dicken Stoffbündels lassen tiefe Einschnitte die zahlreichen Kleiderschichten auseinanderklaffen. Während ein weißes, fleckenloses Material die äußere Hülle bildet, geben die Kerben den Blick auf die bunten Schichtungen sowie große rote und schwarze Flächen frei.
Die Arbeit hängt in Sichthöhe der Betrachter im Raum, in Verlängerung zum Kruzifixus (‚Gekreuzigten‘) Gerhart Schreiters, der seinen Platz hoch an der Nordwand der St. Canisius-Kirche gefunden hat. Dieses Werk der Nachkriegszeit wurde aus den Trümmern der 1995 abgebrannten Vorgängerkirche geborgen. Zwar beschädigten es Hitze und Löschwasser, doch unangefochten schwebte Christus mit ergreifendem, den Raum umspannenden Gestus über dem Chaos. Durch den räumlichen Bezug zu Birgit Diekers Werk entspinnt sich auch ein inhaltlicher Dialog. Der gemarterte Gekreuzigte öffnet für ohne Titel (Ei, Ei, Ei) ganz neue Assoziationen.

 

Moshe Gershuni, o.T., 1980, Courtesy Sammlung Olaf Kühnemann Berlin,Tel Aviv

Moshe Gershuni, o.T., 1980, Courtesy Sammlung Olaf Kühnemann Berlin,Tel Aviv

Der israelische Künstler polnischer Abstammung, Moshe Gershuni (*1936), setzt sich in seinem umfangreichen Werk seit über 45 Jahren mit dem Holocaust und Zionismus auseinander. Düster konstatiert er auch den fehlenden Einfluss der Kunst auf das reale Leben. Sie sei „das Resultat (…) von Hoffnungslosigkeit, die nicht besiegt, nur ausgedrückt werden kann.“ Und diesen Ausdruck praktiziert Gershuni so stark und symbolträchtig, dass er zu einem der weltweit bekanntesten israelischen Künstler geworden ist.

Moshe Gershuni arbeitete vorwiegend auf dem Boden. Farbspuren seiner Hände, Knie und Füße sind auf dem Malgrund zu sehen. Es ist ein aufgefalteter Pappkarton, der so die Form eines Kreuzes annimmt. Im oberen Teil, anstelle des ikonografisch üblichen INRI-Schildes, hebt sich ein Davidstern deutlich vom gelben Grund ab. Den gelben ‚Judenstern‘ als Ausweis und Makel ‚erfanden‘ die Nationalsozialisten und zwangen alle in Deutschland lebenden Menschen jüdischer Abstammung, sich ab September 1941 mit ihm öffentlich zu kennzeichnen. Auf Gershunis Bild läuft der sechseckige Stern aus in einen Tropfen, in dem das hebräische Wort שם [Schem], d.h. „Name“ steht. Haschem (השם), „der Name“ ist eine Gottesbezeichnung für Adonaj, den Gott der Juden mit dem unaussprechlichen Namen. Darunter ist zu lesen: „Denn es heißt/Es wird gesagt“ [schenä‘ ämar], „dass er seinen Namen dort wohnen lässt“ [leschaken schemo scham]. Diese Zeile ist ein Vers der Tora wie auch der Bibel, der in Deuteronomium 12,11 nachzulesen ist: „Dann sollt ihr an die Stätte, die der HERR, euer Gott, erwählen wird, UM SEINEN NAMEN DORT WOHNEN ZU LASSEN, alles bringen, was ich euch gebiete: eure Brandopfer und eure Schlachtopfer, eure Zehnten und eure Hebopfer und all eure auserlesenen Gaben, die ihr dem HERRN geloben werdet,…“
Als Opfergabe könnten auch die roten ‚Wunden‘ gelesen werden, die sich beidseitig der Schrift befinden. 1979, ein Jahr zuvor, stellte Gershuni im Kunstmuseum Tel Aviv eine Serie an Readymades aus, die den Namen Blood of My Heart (Blut meines Herzens) trägt. Es sind 150 Porzellanteller, mit Farbklecksen in ebendiesem Rotton versehen. Wundmale, die die Gedanken auch wieder zum gekreuzigten Gott der Christen tragen.

Ob vom Künstler beabsichtig oder nicht, passen diese symbolischen Verbindungen in sein Wirken, dass sich stets gegen polare Vorstellungen richtete. Das Andere ist für Gershuni immer auch das Eigene.

 

Per Adolfsen, Girl with pearl earring, 2014, Courtesy by artist

Per Adolfsen, Girl with pearl earring, 2014, Courtesy by artist

Per Adolfsen (*1964) ist ein dänischer Künstler, der heute in seiner Geburtstadt Odense auf der Insel Fünen lebt und arbeitet. Bekannt ist er nicht nur in Dänemark sondern hat in seiner Vita bereits Soloausstellungen in China, Deutschland und den USA zu verzeichnen.
Adolfsen sagt von sich selbst, dass es seine künstlerische Herangehensweise wäre, sich in all seiner Verletzlichkeit und Einfachheit zu zeigen, um eine Reflexionsebene zu bieten. Es gehe ihm ums Wahrnehmen und Erkennen eigener stereotyper Vorstellungen. Vorstellungen, die von Vergangenheit, Gegenwart und Kultur geformt sind. Dabei verhandelt Adolfsen in seinen Werken auch kunstgeschichtliche Vorbilder.

Seinem Werk girl with a pearl earring stand wohl das gleichnamige Werk des niederländischen Malers Jan Vermeer Pate. Vermeer schuf um 1665 eines seiner heute bekanntesten Portraitstudien Meisje met de parel (das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge). Es zeigt eine junge Frau als Schulterstück, die in einer unentschiedenen Bewegung zwischen Zu- und Abwenden, doch in eindeutiger Blickbeziehung zum Betrachtenden, festgehalten ist. Vor dunklem Hintergrund fallen besonders die Glanzpunkte im ohnehin hellen Gesicht und in ihrem Schmuck auf. Dem im Europa des 17. Jahrhunderts zeitgemäßen exotistischem Interesse an der türkischen Kultur huldigend, trägt sie einen aus zwei Tüchern geschlungenen Turban sowie einen großen Perlenohrring. Dieses kleinformatige Bild malte Vermeer wohl als Tronie, eine Charakter- und Kostümstudie, dergleichen oft als Vorlage für große Historienmalereien genutzt wurden.

Auch Per Adolfsen portraitiert eine junge Frau. Sie ist jedoch nicht im Vorbeigehen sondern als Halbfigurenportrait formatfüllend ins Bild gesetzt. Trotz entspannter Körperhaltung scheint sie Betrachtende unmittelbar und konzentriert anzublicken. Dieser Eindruck wird verschärft durch den farblichen Kontrast der größtenteils weißen Augen und der fast schwarzen Hautfarbe. Diese bringt auch die Perle am Ohr sowie ihr weißes T-Shirt zum Leuchten. Ihr Körper ist im Gegensatz zum Gesicht formal nicht durchgebildet und erzeugt, zusammen mit den als Farbflächen im äußerst lebendigen Pinselduktus gestalteten T-Shirt und Hintergrund, Spannung im Bild. Ob es sich bei Adolfsens Portraitierten um einen exemplarischen Charakter oder ein lebendes Modell handelt, ist genauso unentschieden wie bei Vermeer. Doch offenbart der Künstler mit dieser Arbeit einmal mehr, dass eine schöne unbekannte Frau als Bildmotiv auch 300 Jahre später als Objekt für die Fantasie funktioniert.

In St. Canisius hängt girl with a pearl earring madonnengleich anstelle eines Altarbildes im Kirchenraum und öffnet so spielend leicht die Palette möglicher Assoziationen und gedanklicher Anknüpfungspunkte.

Olaf Kühnemann, Man and sun, 2016, courtesy by artist

Olaf Kühnemann, Man and sun, 2016, courtesy by artist


Olaf Kühnemann, Man and house, 2016, courtesy by artist

Olaf Kühnemann, Man and house, 2016, courtesy by artist

Den Maler Olaf Kühnemann kennt die westliche Kunstwelt. Geboren 1972 in Basel, wächst er in Israel und Kanada auf. Schon mit zehn Jahren wird er Schüler des noch jungen Künstlers Zvi Lachmann. Später folgt ein akademisches Studium in den USA. Inzwischen ist Kühnemann selbst erfolgreicher, preisgekrönter und weltweit ausgestellter Künstler, der in Berlin und Tel Aviv arbeitet und lebt, und 2014 im ‚100 Painters of  Tomorrow book‘ (die 100 Maler von morgen) aufgenommen wurde.

Olaf Kühnemann ist leidenschaftlicher Maler. Möglichst frei und impulsiv malt er mehrere Bilder am Tag, inspiriert von einfachen Motiven, aus seiner Vorstellungskraft heraus. Es ist ein schier unendliches Umkreisen und Einkreisen dieser Themen, typologische Serien entstehen. Das ist auch an den Titeln der Arbeiten erkenntlich: man and house und man and sun. Es sind so alltägliche Motive, wie sie für erste Kinderzeichnungen typisch sind. Der ausdrücklich einfach gewählte Malgegenstand verlagert das Gewicht der Wahrnehmung auf den Malprozess, auf den Durchfluss der Handlung. Diese Herangehensweise korrespondiert mit den Buddha-Zeichnungen Nguyen Quang Huys und den Kreidezeichnungen Peter Rieks. Gemeinsam ist ihnen, dass sie keine (alt)meisterliche Vollkommenheit einer bestimmten Darstellung suchen, sondern der Prozess des Schaffens aus dem inneren Formenschatz heraus maßgebendes und sinnstiftendes Element ist.

Nicht das Ergebnis soll glänzen, sondern das Zeichnen oder Malen selbst vervollkommnet die Bestimmung der Künstler, ihren Lebensweg, ihren Beitrag in der Welt. Kühnemanns Malereien sind sehr farbenfroh und so strichbetont, dass sie grafisch anmuten. Die Wahl der Farben und unerwartete Details im Bild erzählen jedem Betrachtenden wahrscheinlich eine andere Geschichte. Wir sehen beispielsweise ein Haus ohne Fenster doch mit offenstehender Tür, davor ein auf dem Rücken liegender Mensch. Überall leuchten fast fluoreszierende Farben unter grauen Schichten hervor, übermalt von energiegeladenen, nicht zu deutende Linien – Mann und Haus. So simpel und doch ‚geheimnisvoll‘, dass wir unmittelbar mit unserer eigenen Gedankenwelt und Fantasie konfrontiert sind. Auch das gewohnte A4-Format trägt zur Vertrautheit bei. Ist es doch klein genug, um auch im großen Kirchenraum ganz persönlich mit dem Werk in Dialog treten zu können.

Man and sun (Mann und Sonne), das sind flirrende Linien, die eine nicht zu definierende Landschaft ergeben, darin liegt ein Mensch auf dem Bauch. Auch dieses Blatt gibt sich erzählerisch doch ohne narrative Intention. Es ist die Stärke der Malereien Olaf Kühnemanns.

Nicola Samori, Larvatorum, 2010, Courtesy of SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin

Nicola Samori, Larvatorum, 2010, Courtesy of SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin

„However, I do not forget that everything is vanity, that I need art especially to count the days passing by.” (Warum auch immer, ich vergesse nie, dass alles vergänglich ist und ich die Kunst besonders dafür brauche, die vorübergehenden Tage zu zählen.)
Dieses Zitat aus einem allgemeinen Interview mit dem italienischen Künstler Nicola Samori (* 1977) klingt, als ob Samori seine Motivation für Larvatorum (2010) beschreiben würde.

Vor dunklem Hintergrund sehen wir eine junge Frau in Bewegung. Die Augen halb geschlossen dreht sie den Kopf über die Schulter. In einer Hand hält sie Blumen, mit dem anderen Arm drückt sie einen Totenschädel eng an sich, ohne ihm jedoch Beachtung zu schenken. Samori inspiriert sich hier wie oft in seinem Oeuvre an Werken der alten Meister.

Der Tod und das Mädchen ist bereits in der Renaissance ein wiederkehrendes Motiv der Malerei. Von Hans Baldung Grien (1517) bis Egon Schiele (1915) ist es durchgängig in der Kunstgeschichte zu finden. Viele andere Künste nahmen sich ebenfalls des Themas an. Die Gemälde und Zeichnungen zeigen ein Mädchen, das den Tod umarmt, mit ihm tanzt, sich von ihm verführen lässt oder als Liebhaberin über ihn erschrickt.

Auch Samori malt das volle, üppige Leben in Form einer jungen Frau mit rosigen Wangen, prunkvollem Kleid und Blumen. Doch seine Figur kommt, ganz in der Tradition barocker Vanitas-Malerei, aus dem Schatten. Obwohl dem Leben zugewandt, hält sie den unausweichlichen Tod schon im Arm.

Die Frage, woher ihr gelassenes Verhältnis zum Tod kommt, könnte an diesem Ausstellungsort ganz anders beantwortet werden.

 

 

Über St. Canisius

Die Kirche brannte 1995 ab, der neu geschaffene Baukörper wurde 2002 eingeweiht. Der lichtdurchflutete, vollständig weiße und weitestgehend bilderlose Raum erinnert an ‚innere Räume‘ wie ‚Makom‘, er erinnert an die ‚heilige Leere‘ sowie die Idee der Bilderlosigkeit in der jüdischen Ikonografie. Die südliche Seite ist durch ein wandgroßes Fenster mit einem aus purer Architektur gefassten, erhöhten Außenraum verbunden, der in seiner Weite wie Intimität an das in alten chinesischen Gärten vorhandene Wechselspiel zwischen ‚Außen und Innen‘ erinnert. Im fast kunstfreiern Raum findet sich ein großer  ‚Gekreuzigter‘ des 1974 verstorbenen Bildhauers Gerhart Schreiter, hoch an der Nordwand hängend und so während der Gottesdienste außerhalb des Blicks. Die aus der Nachkriegszeit aus Eisenblech gefertigte, und durch den Brand, durch Feuer und Löschwasser beschädigte Skulptur gab der Ausstellung Idee und Titel. Kunstwerke bringen den Menschen, sein Antlitz und seinen Körper, sein Leiden, seine Lust und Freude in den weißen Raum zurück, der mit Ende der 1990er Jahren entstandenen Zeichnungen von Buddhas des vietnamesischen Künstlers Nguyen Quang Huy in Dialog tritt.

LIST OF ARTISTS

Per Adolfsen | Abraham Hendricksz van Beyeren | Birgit Brenner | Jonas Burgert | Marcin Cienski | Birgit  Dieker | Christina Doll | Sven Drühl | Moshe Gershuni | Paule Hammer | Katrin Heichel | Nguyen Quang Huy | Michal Jankowski | Oda Jaune | Kai Klahre | Andrey Klassen | Anna Kott | Olaf Kühnemann | Carina Linge | Rosa Loy | Nashuhn Nashunbatu | Nathan Peter | Jochen Plogsties | Daniel Richter | Nicola Samori | Gil Shachar | Gerhart Schreiter | Vroni Schwegler | Norbert Schwontkowski | Steve Viezens | Herbert Volkmann | Yoo Yunghyun + Peter Riek als Gast