In der Marienkapelle, dem Ort der persönlichen Fürbitte in St. Canisius, hängt ein grobmaschiges Netz von der Decke. Darin befinden sich, aufbewahrt wie Fußbälle, zwei Köpfe. Zwei naturalistisch aus Wachs gebildete Häupter von Männern. Der eine jung, der andere alt.
Sie tragen unverkennbar die Handschrift des israelischen Künstlers Gil Shachar (* 1965 in Tel Aviv). Seit vielen Jahren formt er aus Wachs und Epoxydharz illusionistische Plastiken. Neben der Materialität von Stoffen und Papier interessierte Shachar von Beginn an auch der menschliche Körper. Abgeformte und bemalte Körperfragmente – Ohren, Rücken, Arme, Büsten und eben auch Köpfe – arrangiert er stets überraschend neu zu eindrucksvollen Kunstwerken.
Neben technischer Rafinesse verlangen sie vor allem die perfekte Beherrschung des Malerhandwerks, denn letztlich ist es die beigemischte und aufgetragene Farbe, die den Körpern Leben einhaucht und das Netz baumwollen erscheinen lässt. Schon aus der Antike sind Traktate und Wandmalereien überliefert, die sich mit dem Spiel zwischen Illusion und Wirklichkeit auseinandersetzten. In der Renaissance lebte dieser künstlerische Anspruch stark auf und wird mit der sogenannten Trompe-l’œil-Malerei sogar zu einem eigenen Genre. Gil Shachar überträgt den Effekt auf seine Plastiken. Er bemalt sie derart, dass sie für einen Moment das Auge täuschen.
Und so steht man staunend vor den Köpfen und würde sie gern berühren, sich ihrer Künstlichkeit versichern. Ein Blick in den Hals zeigt: Sie sind hohl. Es fließt kein Blut. Keine Spur der Versehrtheit ist auszumachen. Die Augen und Münder der Männer sind geschlossen. Sie ruhen in sich, strahlen einen inneren Frieden aus, wirken wie vollplastische Totenmasken. Doch verwirrend ist ihre Anbringung im Netz.
Jesus rief Simon nach dem Fischen auf dem See Genezareth in seine Gefolgschaft mit den Worten „Von nun an wirst du Menschen fangen“ (Lk 5,10). – Die Männer, ein Symbol bekehrter Christenseelen?
Oder dient das Netz doch zum Transport? Das Alte Testament der Bibel, der gemeinsamen Schrift mit den Juden, berichtet beispielsweise von Isobeth (2.Sam 4,7.8), Goliath (1.Sam 17,51) und Saul (1.sam 31,9), deren Köpfe als Trophäe dienten. Das wohl berühmteste Beispiel stammt jedoch auch dem neuen Testament. Johannes der Täufer wurde enthauptet, da er dem König Herodes dessen Übertretung der Gebote vorhielt (Mk 6,17-29).
Die Arbeit Gil Shachars befasst sich ebenfalls mit einem anderen traditionellen Motiv der Malerei: Die Lebensalter. Das künstlerische Interesse an der Darstellung der sich kontinuierlich verändernden Physiognomie bestand durch alle Epochen. So kann die Plastik im Kontext des Kirchenraumes vielleicht auch mahnend – versöhnlich aufgefasst werden: „Nicht einmal mit deinem eigenen Kopf sollst du dich verbürgen, wenn du schwörst; denn du bist nicht in der Lage, auch nur ein einziges deiner Haare weiß oder schwarz werden zu lassen.“ (Matth 5,36).
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