Birgit Dieker ist 1969 in Gescher, Westfalen geboren, und schon seit den 1990’er Jahren nicht mehr aus den Berliner Künstlerkreisen wegzudenken. Sie studierte in Berlin neben Germanistik und Kunsterziehung Bildhauerei und war Meisterschülerin bei Michael Schoenholtz. Es folgten zahlreiche Stipendien und Kunstpreise. Schon früh hat die Künstlerin ihre Handschrift gefunden. Sie näht und schneidet mehrlagige Skulpturen aus Stoffen, beispielsweise ein Familienportrait aus den abgelegten Kleidern der Portraitierten. Immer geht es um das Innerste des Menschen. Es sind Skulpturen, die etwas über den Menschen erzählen wollen, seinen Körper, seine Erinnerungen, gesellschaftliche Erwartungen.

Birgit Dieker, o.T. (Ei, Ei, Ei), 2010, Courtesy SØR Rusche Sammlung

Birgit Dieker, o.T. (Ei, Ei, Ei), 2010, Courtesy SØR Rusche Sammlung

Ihre Werke zeichnen sich durch Brüche aus. Sie spielen mit Perfektion und Zerstörung, mit dem Verhältnis von äußerer Form und innerem Zustand. Die Kleidung als „zweite Haut“ symbolisiert den Körper. Sie ist die Grenzmetapher zwischen Innen und Außen, zwischen Ich und Welt und wird so zum Erfahrungsträger und zur Metapher für die Schichten des Selbst.

Dieser Gedanke findet sich nicht nur im Vodoo, sondern in ähnlicher Form auch im Christentum wieder. 
Je näher ein Kleidungsstück am Körper war, desto mehr Kräfte oder persönliche Beziehung zum Träger werden ihm zugesprochen. So bewahrt die katholischen Kirche Kleider von besonders verehrten Personen auf, die nach ihrer Heiligsprechung als Reliquien gelten. Bis heute ist Trier eine berühmte Pilgerstätte, weil dort das Gewand Christi aufgehoben wird, das ihm vor der Kreuzigung weggenommen wurde und in den Besitz eines Soldaten überging.

Bisher gibt es nur zwei Skulpturen aus persönlichen Kleidungsstücken der Künstlerin. Eine davon ist Diekers Selbstporträt ohne Titel (Ei, Ei, Ei), die nun in St. Canisius zu sehen ist. Auf zwei sich gegenüberliegenden Seiten eines dicken Stoffbündels lassen tiefe Einschnitte die zahlreichen Kleiderschichten auseinanderklaffen. Während ein weißes, fleckenloses Material die äußere Hülle bildet, geben die Kerben den Blick auf die bunten Schichtungen sowie große rote und schwarze Flächen frei.
Die Arbeit hängt in Sichthöhe der Betrachter im Raum, in Verlängerung zum Kruzifixus (‚Gekreuzigten‘) Gerhart Schreiters, der seinen Platz hoch an der Nordwand der St. Canisius-Kirche gefunden hat. Dieses Werk der Nachkriegszeit wurde aus den Trümmern der 1995 abgebrannten Vorgängerkirche geborgen. Zwar beschädigten es Hitze und Löschwasser, doch unangefochten schwebte Christus mit ergreifendem, den Raum umspannenden Gestus über dem Chaos. Durch den räumlichen Bezug zu Birgit Diekers Werk entspinnt sich auch ein inhaltlicher Dialog. Der gemarterte Gekreuzigte öffnet für ohne Titel (Ei, Ei, Ei) ganz neue Assoziationen.