Der Künstler John Young lebt und arbeitet zwischen den Kulturen, was für ihn ein unfreiwilliges Lebensthema ist. Geboren ist er 1956 in Hongkong und wächst dort die ersten Jahre wohlbehalten bei seinen politisch engagierten Eltern auf. Mit elf Jahren schicken sie ihren Sohn zur Schulausbildung nach Australien, um ihn vor Übergriffen der chinesischen Revolution zu schützen. John Young bleibt in Sydney und heiratet die Tochter eines sephardischen Juden. Der Künstler beschreibt, dass er sich von den für ihn frustrierenden Identitätsfragen abgewandt hat und sich lieber Menschen widmet, „die unglaublich viel Gutes getan haben, weil sie sich in transkulturellen Situationen befanden“.
Menschen wie Dietrich Bonhoeffer, dessen Initialzündung für sein Wirken ein Aufenthalt in Harlem war. Der lutherische Theologe und Vertreter der ökumenischen Bewegung war Friedensaktivist und eine der zentralen Figuren des deutschen Widerstandes gegen Hitler und die nationalsozialistische Rassenideologie. 1945 wurde er auf Befehl Hitlers erhängt. John Young war von Bonhoeffers Biografie tief beeindruckt und fing an, über ihn zu arbeiten. Unter anderem entstand eine Reihe an Kreidezeichnungen auf mit Tafelfarbe eingestrichenes Papier. Sie zeigen unterschiedliche Schriften sowie Stimmen aus unterschiedlichen Kulturen, die über Bonhoeffer reflektieren. Mit der Arbeit an dem Zyklus fängt Young an „Kunst nicht vom Standpunkt des Narzissmus aus zu machen, sondern aus Empathie“ und ändert damit seine Schaffensweise grundsätzlich. Der einsetzende Prozess der eigenen Transformation als Künstler entspricht der ethischen Transformation, die Bonhoeffer von den Menschen forderte.
Tafeln für zwei weitere Männer kommen hinzu. Es sind ebenfalls Deutsche, die in transnationalen Situationen während des Nationalsozialismus mutig wie auch selbstlos für andere und gegen das Unrecht gehandelt haben.
Safety Zone ist chinesisch übertitelt. Einige Sätze wurden darunter auf Deutsch geschrieben und anschließend wieder verwischt. Letztlich stehen geblieben ist: „Du hast das Herz eines Buddha“, sowie das Datum 5.1.1949 und zwei gelbe Handabdrücke. Diese Arbeit von 2010 ist eine Hommage an John Rabe. Sein Beruf führte den Hamburger Kaufmann nach China, wo er von 1911 bis 1938 bei der Siemens China Co., ab 1931 als Geschäftsführer in Nanjing, der damaligen Hauptstadt der Republik China, arbeitete. Trotz seiner NSDAP-Zugehörigkeit setzte sich Rabe für das Leben der chinesischen Zivil-bevölkerung ein. China wurde von Japans Truppen angegriffen, die als Verbündete der Nationalsozialisten agierten. Während des Massakers von Nanjing 1937/38 konnte mit Rabes Hilfe eine Schutzzone eingerichtet werden, die mehr als 200.000 Chinesen das Leben rette. Rabe selbst nahm in seinem Einfamilienhaus und auf seinem Grundstück mehr als 650 Menschen auf. Sein mutiger Einsatz brachte ihm die Verehrung der chinesischen Bevölkerung ein.
Eigens für die Ausstellung in der Synagoge geschaffen hat John Young die sieben Tafeln des Zyklus Schindler. Der ebenfalls nicht ganz gradlinige Lebenslauf Oskar Schindlers ist hierzulande durch Film und Literatur weitreichend bekannt. Schindler war ein Unternehmer, der Mitglied der NSDAP war und darauf hoffte, aus dem Krieg Profit zu schlagen. Er übernahm nach dem deutschen Einmarsch in Polen eine Emaillefabrik bei Krakau und wurde schnell wohlhabend. In dieser Zeit muss sich sein Weltbild gewandelt haben. Bald waren er und seine Frau bestrebt, möglichst viele Juden vor den Nationalsozialisten zu retten, am Ende sogar unter Einsatz ihres gesamten Vermögens und ihrer Leben. Etwa 1200 Menschen bewahrten sie vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten.
Eine Tafel Youngs zeigt Schindlers Geburtsdatum, seinen Namen in Versalien, einen blauer Stern sowie den Namen seiner Frau.
Im Medium der Tafelzeichnung bezieht sich Young auf den Anthroposophen und Erkenntnistheoretiker Rudolf Steiner (1861-1925). In seinen zahlreichen in Europa gehaltenen Vorträgen bediente sich dieser Schultafeln, um seine Ideen und sozialreformatorischen Visionen mithilfe von mehrfarbigen Zeichnungen visuell zu vermitteln. Auf Initiative einer Zuhörerin wurden die Tafeln ab 1919 jeweils vor Beginn der Vorträge mit schwarzem Karton bespannt, um die Kreidezeichnungen und für die Nachwelt dauerhaft bewahren zu können. Young kehrt die Idee um und konserviert den Tafelinhalt nicht auf Papier, sondern lässt Papier zur Tafel werden, um mit dem temporären Faktor zu spielen. Er löscht aus, überschreibt und verwischt so lang, bis er den richtigen Ton getroffen hat.
Die Zusammenschau dieser Arbeiten ergibt eine kleine beeindruckende Auswahl an Biografien von Menschen, die an einem Punkt in ihrem Leben sich für das Gute entschieden haben, mit allen Konsequenzen.
Foto: John Young, Safety Zone, 2010 – 2016, Courtesy Artist, John Young, For Bonhoeffer, 2008, Courtesy Artist und Gemeinde der Erlöserkirche Bamberg, John Young, Schindler, 2010 – 2016, Courtesy Artist, Foto: Marcus Schneider
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